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10 Jahre SIB 28 Traumatische Kindheitserfahrungen Man weiß inzwischen, dass traumatische Kind- heitserfahrungen zu verminderter mütterlicher Sensitivität und weniger emphatischer Erziehung führen. Die erhöhte Impulsivität und Feindselig- keit, aber auch anhaltende „emotionale Kälte“ der Mutter erschweren den Umgang mit dem Kind. Die Mutter erlebt selbst erhöhten subjektiven Stress in der Beziehung zu ihrem Kind, was unter ande- remmit einer gestörten hormonellen Stressachse erklärt wird. Vermittelt über das eigene Kindheitserleben der Mutter kann es zu Veränderungen der hormo- nellen Stressachse des Kindes kommen (bereits vorgeburtlich), denn der Säugling ist bis zu seiner Geburt direkt mit dem neu- rologischen Stressre- gulationssystem der Mutter verbunden. Die Traumatisierung und die unsichere Bindung der betroffenen Mutter führen zu verminderter Oxytocinverfügbarkeit mit der Folge, dass die Interaktion mit ihrem Kind als wenig belohnend erlebt wird. Oxytocin ist das ausschlaggebende Bindungshormon, welches eine wichtige Bedeu- tung beim Geburtsprozess einnimmt. Gleichzeitig beeinflusst es nicht nur das Verhalten zwischen Mutter und Kind sowie zwischen Geschlechtspart- nern, sondern auch ganz allgemein soziale Interaktionen. Niemals Hoffnung gehabt Welche Auswirkungen solch ein frühkindlicher Mangel auf die folgenden Entwicklungs- und Le- bensjahre von jungen Menschen haben kann, zeigt uns unser SIB-Alltag. Menschen, die in ihren ersten Lebensjahren in diesen, für das ganze Le- ben richtungsweisenden Entwicklungsschritten anhaltend gestört wurden oder wie beschrieben Mangel erfuhren, ringen ihr weiteres Leben mit gerade diesen kindlichen Lebensthemen. Je älter sie werden, desto stärker wird die äußere Erwartung auf Rollenübernahme, umso deutli- cher die persönliche Unzulänglichkeit, diese zu übernehmen. Gerd Rudolf, Professor für psychosomatische Medizin und Psychotherapie sowie Mitbegrün- der der OPD, sagte einmal: „Depressive Patienten haben die Hoffnung verloren, strukturell gestörte Patienten haben noch niemals Hoffnung gehabt“ . Ständige Herausforderung Damit eine stabile, gereifte psychologische Struk- tur in einemMenschen entstehen kann, benötigt ein Mensch Betreuungspersonen, die diesen schwierigen Prozess des Wachsens und Entwi- ckelns entsprechend der jeweiligen (gestörten) Entwicklungsthemen begleiten und vor allem verstehen können. Transportieren wir dieses Erkennen in den direk- ten Betreuungsalltag, verändert sich zwangsläufig schon der Umgang mit den jungen Menschen, die sich auf unser zweijähriges Begleitungsprogramm einlassen. Entwicklungsprozesse zu begleiten ist spannend und unberechenbar, oft aber auch schwierig und zäh. Es gibt täglich irgendwelche Hürden zu bewältigen und der tägliche Kampf mit den „psychologischen Chaosdrachen“ der jungen Menschen ist eine ständige Herausforderung und fordert das ganze SIB-Team in seiner Kreativität, Leidenschaft und Flexibilität heraus. Den „Chaosdrachen“ besänftigen Aber es lohnt sich! Durch das hohe Engagement unserer Mitarbeiter, sich immer wieder auf das tatsächliche Entwicklungsbedürfnis des jungen Menschen im Hier und Jetzt einzulassen (und nicht auf das symptomatische Problemverhalten) und diesem entsprechend zu begegnen, wird die- ser „Chaosdrache“ langsam aber stetig befriedet. „Allmählich bildet sich aus der inneren Welt eine Art Muster heraus, Ordnung entsteht aus dem Chaos. Dies geschieht nicht durch geistige oder intellektu- elle Anstrengung, sondern ist eine Aufgabe der Psyche, die dem Verdauungsvorgang eng verwandt ist, einer Aufgabe, die ebenfalls unabhängig von intellektueller Einsicht erfüllt wird. Ein intellektu- elles Verständnis kann sich einstellen, aber auch nicht“ (D.W. Winnicott). Auf den Klienten einlassen „Aber selbstlos bin ich nicht. Ich hab auch Angst, um dich und mich“(K. Wecker). Dieses Grau wie der Alltag zu sein heißt, sich gegenseitig aufeinander ein-zu-lassen. Eine „Allmählich bildet sich aus der inneren Welt eine Art Muster heraus, Ordnung entsteht aus dem Chaos.“ „Entwicklungsprozesse zu begleiten ist spannend und unberechenbar, oft aber auch schwierig und zäh.“

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