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10 Jahre SIB 38 seiner Umwelt zu sammeln. Mit demWachstum des Kindes und seinen neu erlernten Fähigkeiten wächst auch sein Aktionsradius. Diese Vergröße- rung des Erfahrungsraumes kann aber nur voll- zogen werden, wenn das Kind die Gewissheit hat, dass es jederzeit wieder in den „sicheren Hafen“ der Geborgenheit und Nähe zurückkehren kann. Auch in der Existenzanalyse sind deutliche Par- allelen zu den vorhergehenden Ausführungen erkennbar. Die Existenzanalyse – und ihr Teilge- biet, die Logotherapie – wurde in den zwanziger und dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts vomWiener Neurologen und Psychiater Viktor Frankl (1905-1997) begründet. Sie gilt als „dritte Wiener Schule der Psychotherapie“. ImMittel- punkt des Interesses Frankls stand das „spezi- fisch Humane“: die Geistigkeit des Menschen, die sich besonders in der Suche nach Sinn artikuliert. Alfried Längle ist ein österreichischer Psychothe- rapeut, Arzt, klinischer Psychologe und Begründer der Ausbildung in Existenzanalyse und Logothe- rapie in Wien. „Die Existenzanalyse ist eine phäno- menologisch-personale Psychotherapie mit dem Ziel, der Person zu einem (geistig und emotional) freien Erleben, zu authentischen Stellungnahmen und zu eigenverantwortlichem Umgang mit ihrem Leben und ihrer Welt zu verhelfen“ (Längle 2013: 24). Die Basis der Existenzanalyse bilden die vier perso- nal-existentiellen Grundmotivationen. Diese sind nach Längle als „Bausteine der Existenz“ zu sehen und greifen Grundfragen auf, vor die der Mensch in seinem Sein gestellt ist. Diese Grundmotivati- onen sind Voraussetzung für ein erfülltes Leben, ein „In-der-Welt-sein-Können“. Verkürzt kann die inhaltliche Bedeutung dieser Beweggründe in vier Fragen zusammengefasst werden: Es geht also darum, dass der Mensch befähigt ist, mit innerer Zustimmung zum eigenen Handeln und Dasein leben zu können. 1. Grundmotivation Ich bin – kann ich sein? Habe ich Raum, Halt und Schutz, um in dieser Welt leben zu können? 2. Grundmotivation Ich lebe – mag ich leben? Habe ich Beziehung, Zeit und Nähe, um leben zu mögen? 3. Grundmotivation Ich bin ich – darf ich so sein? Werde ich gesehen und wertgeschätzt? Kann ich mich selber aner- kennen und abgrenzen? Was ist mein Eigenes? Eltern – aus neurobiologischer Sicht – als Straße mit regem Gegenverkehr. Kinder bilden Erfahrun- gen, die sie mit ihren Bezugspersonen machen, in ihrem eigenen Gehirn ab. Gleichzeitig erkennen sie im Spiegelsystem der vertrauten Menschen, wer sie selber sind. Des Weiteren bekommen sie auch Informationen darüber, wer sie sein könnten, über welche Potentiale und Entwicklungsmöglich- keiten sie verfügen. Deshalb wollen Kinder von ihren Bezugspersonen wahrgenommen und gespiegelt werden. Zur Ent- wicklung einer stabilen Bindung braucht das Baby also feinfühlige Erwachsene, die dazu fähig sind, die ausgesendeten Signale wahrzunehmen, richtig zu interpretieren und adäquat darauf zu reagieren. So macht der Säugling im Alltag immer wieder die Erfahrung, dass es da jemanden gibt, der sich um ihn kümmert, seine Nöte oder Bedürfnisse erkennt und versteht und darüber hinaus in der Lage ist, diese auch angemessen zu befriedigen. Gelingt es der Bezugsperson, diese sichere emo- tionale Basis zu schaffen, kann sich der Säugling seinem Bedürfnis nach Exploration hingeben. Erst dieser haltgebende Boden ermöglicht es dem Baby bzw. Kleinkind, seinem natürlichen Erkundungs- drang nachzugehen und Erfahrungen in und mit

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