ifs_zeitschrift_sib_jubilaeum_16

51 Schwerpunkt Autismus Zurück zum Leben Innenbeschau einer Aufgegebenen Gewidmet jenen, die nicht für sich sprechen können. Sie stand da in ihrer spezialgefertigten Montur, von oben bis unten eingehüllt in einen dicken, weißen, reißfesten Stoff, und schaute hinaus in die Nacht, in der die Sterne am Himmel standen und der Mond hinter den weißen Wolken vorbeizog, hell und klar wie die Nächte immer waren, wenn es draußen kalt war. Sie wusste nicht, was Nacht bedeutete, auch verstand sie nicht die Bedeutung des Tages, aber das Himmelslicht gefiel ihr, obwohl es aus ihrem eingeschränkten Blickfeld kaum zu sehen war. Irgendwo in ihrem Kopf summte das Wissen, dass ihr Kopf einmal schwerelos gewesen war, jetzt um- hüllte ihn eine schwere Last aus Metall, ein Visier schrumpfte ihr Sehen auf eine Miniaturausgabe der Welt, so auch der Nacht. Sie kannte es schon lange nicht mehr anders, das Metallteil gehörte zu ihrem Kopf wie die Hände zu ihrem Körper und so stand sie und sah die vergitterte Nacht, die ihr jetzt so selbstverständlich erschien. Eingepackt in ihrem Korsett aus Stoff, den ganzen Körper geschützt vor ihrer Zerstörungswut, vor Nägeln, die sich tief ins Fleisch gruben und ein wohliges Gefühl hervorriefen, vor Tätlichkeiten, die sie zum Sein erweckten. Die Haut klaffend blutend, offen, blau verfärbt, gezeichnet von der Wut gegen sich selbst, von der Wut, die nie ein Ende nahm, die Langeweile, die nie aufhörte. Das Verdammtsein zum Nichtstun, zum Untätigsein, die Verdammnis am Leben zu sein, um am Leben zu sein. Den Schutzwall, den die anderen um ihren Körper bauten, um ihn zu schützen, Gott verbot die Selbstverstümmelung und Selbstzerstörung, durchbrach sie – Schutz durfte nicht sein, trot- zig hielt sie ihren Willen dagegen. Die wütenden Attacken gaben ihrem Leben einen Sinn, um der Verdammnis zu entfliehen, gaben ihr einen Halt, einen Sinn sich zu finden, um sich zumindest zu spüren. Ein Versuch, dies zu unterbinden, endete mit einem nie enden wollenden nächsten Versuch die Zerstörung fortzusetzen, vielleicht konnte sich ihr Körper in der Zerstörung einfach auflösen, ent- schwinden… Ein nächster Morgen begann und wiederum än- derte sich nichts, nicht die Nächte, nicht die Tage, nichts. Der Glanz in ihren Augen verschwand immer mehr, sie blickte in der Einschränkung des Gitters nach außen, die Glut des Lebens verlosch umso mehr, je sinnloser der Tag wurde, nichts tun, essen, kauen, schlucken, atmen, gehen, schreien, langgezogene Laute, die die Welt draußen erfüllten mit ihrem Hall, monotones Ahhhh, das nie enden wollte und langgezogen alle Räume und Gänge erfüllte. Manchmal drangen durch den Helm Stimmen an

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