ifs_zeitschrift_sib_jubilaeum_16

10 Jahre SIB 54 Das Störungsbild ist komplex, die Erscheinungsfor- men vielfältig. Der „frühkindliche Autismus“ wie ihn Leo Kanner, der aus Österreich stammende, amerikanische Kin- derpsychiater schon 1943 beschrieb, wird heute der Klasse der tiefgreifenden Entwicklungsstörungen zugerechnet. In den letzten Jahren wurden zahlreiche wissen- schaftliche Untersuchungen durchgeführt, die auf genetische Faktoren hinweisen. Die psychodyna- mische Mutter-Kind-Beziehungsstörungs-Theorie ist überholt und über- wunden. Nach den Erkenntnissen der Familien- bzw. Zwil- lingsuntersuchung über Autismus kann gesagt werden, dass Autismus durch die Kombination ver- schiedener Gene, die vor allem während der Gehirnentwick- lung aktiv sind, be- dingt ist. Die genaue Anzahl der am Autismus be- teiligten Gene lässt sich heute nicht verlässlich angeben – derzeit weiß man von sechs Genen. Autismus tritt familiär gehäuft auf. Die Chance für Geschwister eines autistischen Kindes, eben- falls an Autismus zu erkranken, liegt bei drei bis acht Prozent. Das Therapiemodell nach Muchitsch ist ein ganz- heitliches Konzept zur Förderung der Motorik, Wahrnehmung, Sprache, Emotionalität, des Den- kens und Sozialverhaltens sowie der Alltagsbewäl- tigung. Durch die intensive Arbeit mit Kindern und Eltern entwickelte Dr. Elvira Muchitsch zwei neue auf verhaltenstherapeutischen Grundlagen basierende Therapieformen: Die Involvierungs- therapie für Kinder, Jugendliche und Erwach- sene mit Autismus und die Multifunktionelle Fördertherapie. Qualitätssicherung, die nicht nur die Beurteilung der Tätigkeiten, sondern auch die Optimierung von Maßnahmen unter systematischer Anwen- dung empirischer Forschungsmethoden mit qualitativen Methoden beinhaltet, hat im ifs einen hohen Stellenwert. Zudem spielt gerade im sozialen Dienstleistungsbereich die Legitimation gegenüber den Geldgebern eine immer bedeu- tendere Rolle. Grundlegende Ziele der durchgeführten Evalu- ation waren, mittels der gewonnenen Daten An- satzpunkte zur Reflexion, Weiterentwicklung, Handlungsoptimierung und Systematisierung zu erhalten, um dadurch die tägliche Arbeit zu verbessern sowie Wandlungsprozesse initiieren, begleiten und bewerten zu können. Als Erhebungsinstrument wurde E.V.A. (Evalua- tion – Vergleich – Analyse), ein alltagstaugliches qualitatives Instrumentariummit hohem Praxis- bezug, das soziale Welten analysiert und quantifi- zierbare Ergebnisse liefert, herangezogen. Meinun- gen, Bedeutungen, Erfahrungen, Überzeugungen, Vorschläge etc. werden miteinander vernetzt und in einen interpretativen Prozess aufgenommen. Das zentrale Element des Verfahrens ist es, den subjektiven Sinn, den Personen mit ihren Hand- lungen und Erfahrungen verbinden, zu erfassen (Rekonstruktion der subjektiven Sichtweisen). Die mittels des E.V.A.-Programms erhaltenen Da- ten basieren zum einen auf den sich über drei Jahre erstreckenden Dokumentationen der Be- treuerinnen und Betreuer, zum anderen auf drei Anfang 2016 durchgeführten Interviews, zwei da- von mit Elternteilen von betreuten Klienten und eines mit einem Systempartner (einem behandeln- den Facharzt). Bei den Fall- und Verlaufsdokumentationen wur- den mittels Zufallsauswahl überwiegend das erste Betreuungsjahr, einzelne über das zweite Betreu- ungsjahr verteilte Tage und die Zeitspanne gegen Ende des dritten Betreuungsjahrs herangezogen. Die Auswertung und Interpretation der Daten erfolgte durch Dr. Sabine Kolbitsch. Aus der durchgeführten Analyse des Fachpro- jektes Autismus Tirol ergaben sich für die heraus- gearbeiteten Kategorien folgende Bewertungen: Fachlich-methodische Arbeit/Förderung: 83% positiv, 13% negativ und 4% neutral - Lebenspraktische Förderung/Alltagsbewälti- gung: 80% positiv, 16% negativ und 4% neutral - Arbeitsphase/Arbeitstraining: 84% positiv, 13% negativ und 3% neutral - Verhaltenstherapeutische Interventionen: 90% positiv, 8% negativ und 2% neutral - Selbstpflege/Selbstversorgung: 76% positiv, 16% negativ und 8% neutral - Konzept: 87% positiv und 13% neutral - Elternarbeit/Elterncoaching: 95% positiv und 5% neutral „Nach den Erkenntnissen der Familien- bzw. Zwil- lingsuntersuchung über Autismus kann gesagt werden, dass Autismus durch die Kombination verschiedener Gene, die vor allem während der Gehirnentwicklung aktiv sind, bedingt ist.“

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